DER FILMKOMPONIST MICHAEL NYMAN



Michael Nyman, Jahrgang 1944, studierte an der Royal Academy of Music in London. Das in den 50er und frühen 60er Jahren in Europa vorherrschende Diktat der „linearen Musik” schreckte den jungen Komponisten ab und er wendete sich zunächst der Musikwissenschaft zu. Erst durch die Begegnung mit der neuen „experimentellen Musik“, die Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre auch Europa erreichte, fühlte er sich frei eigene Werke zu schaffen. Er beschrieb diese Entwicklung, die auch die anderen Kunstrichtungen erfasst hatte, in dem noch heute gültigen Standardwerk „Experimental Music – Cage and Beyond“. Das letzte Kapitel widmet sich der „Minimal Music“. Michael Nyman prägte diesen Begriff und gehörte zu den bedeutendsten europäischen Vertretern dieser Gattung.

Als Musikwissenschaftler hatte er sich mit Komponisten des Barock beschäftigt, deren Musik Nyman nun in vielen seiner Kompositionen als Ausgangsmaterial nutzte. Er gründete damals die „Michael Nyman Band" mit der er noch heute sehr erfolgreich zusammenarbeitet. Etwa zur gleichen Zeit begann er seine Zusammenarbeit mit dem Filmregisseur Peter Greenaway. In den Anfangsjahren schufen sie wahre Gesamtkunstwerke. Während ihre wunderbaren avantgardistischen Arbeiten bis heute nur einem eingeweihten Publikum bekannt sind, wurden beide durch ihren ersten gemeinsamen Spielfilm „Der Kontrakt des Zeichners“ bald weltberühmt. In den meisten der Projekte mit Greenaway gab Nyman das Tempo vor. Erst war seine Musik da, nach der dann Greenaway Szenen drehte und schnitt. Diese unverwechselbare Stilistik, bestehend aus barocken Klangformeln, minimalistischer Geschmeidigkeit und ungeheurem Tempo, wurde zu einem Signet Greenawayschen Kinos. Zu insgesamt elf Filmen von Peter Greenaway schuf Michael Nyman die Musik. Doch nach „Prosperos Bücher“ kam es zum endgültigen Bruch.

Nyman arbeitete mit anderen Regisseuren zusammen. So stammen beispielsweise auch die Musiken zu Christopher Hamptons „Carrington" (1995), „Das Tagebuch der Anne Frank" (1995) und zu Volker Schlöndorffs „Der Unhold" (1996) von ihm. Nach dem grandiosen Erfolg seiner Filmmusik für Jane Campions Film „Das Piano" schrieb er auch für einige Hollywoodproduktionen die Filmmusik. Nymans erste amerikanische Produktion war das Sciencefiction-Drama „Gattaca" (1998), es folgte die Filmmusik zu Michael Winterbottoms „Wonderland" (1999), oder zu Neil Jordans „Das Ende einer Affäre". Nyman wird in Amerika auch weiter Filmmusiken produzieren aber dort machte er auch schwierige Erfahrungen. Als ein Warner-Boss Nymans Musik zu „Zauberhafte Schwestern" hörte, sagte er: „Das Zeug muß verschwinden!". Es war typisch Nyman, wild, frech und eine Spur sarkastisch. Nyman dazu:
„Je mehr ich versuche, ein Hollywood-Komponist zu werden, desto bewußter wird mir, daß mein Herz in Europa schlägt. Wenn ich hier arbeite, habe ich direkten Kontakt mit dem Regisseur. Ein Produzent ist da meistens ein Mensch fürs Praktische und keiner, der sich in die Kunst einmischt. In Amerika wird man gleich mit sehr vielen Menschen konfrontiert, die man kaum oder gar nicht kennt."

Mittlerweile umfasst Michael Nymans filmkompositorisches Werk über 70 Filme. Darunter auch einige Filme, die hier noch gar nicht angelaufen sind (z.B. „Nathalie" von Anne Fontaine, oder „The Actors" von Connor McPherson nach einer Geschichte von Neil Jordan.).

Seine Filmkompositionen überraschen immer wieder mit ihrer Reichhaltigkeit an musikalischen Ideen: Barocke bis Klassische Musik, Elemente der Minimal Music, Elektronische Musik, Cluster-Klänge und Elemente verschiedenster Volksmusiken lassen auf Nymans riesigen Erfahrungsschatz schließen. Nyman lehnt es ab, Musik für den Film nur als Mittel zum Zweck zu sehen. In einem Interview sagte er: „Trennen sie Musik vom Film, und der Film verliert seinen Charakter. Trennen sie den Film von der Musik, und sie haben ein wunderschönes Konzert!". Vielfach sind in den Konzerten erst die vollständigen Suiten zu erleben.

Doch Michael Nyman ist viel mehr als einer der erfolgreichsten Filmkomponisten. Er hat während seiner filmkompositorischen Arbeit auch immer andere Kompositionen geschrieben und tut dies immer intensiver. Zu seinen klassischen Kompositionen zählen Orchester- und Kammermusiken, Liederzyklen, Opern, Ballettmusiken und Chorwerke. Nyman schrieb auch die Musik für die Präsentation der Modekollektion des Designers Yohii Yamamoto („Yamamoto Perpetuo", 1993), die Eröffnung einer Hochgeschwindigkeitszugverbindung („MGV", 1993) und ein Computerspiel („Enemy Zero", 1996). Das Projekt „The Commissar Vanishes“ (1999) vereint seine Musik mit einem Video-Triptychon von Christopher Kondek, und basiert auf dem Buch von David King über die Manipulation von Fotografien zur Stalin Ära. Zu seinen Oper-Werken zählen „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“ (1986) nach Oliver Sachs und „Facing Goya“ die 2000 in Spanien Premiere hatte. 2003 wurde in Hamburg sein erstes Violinkonzert mit Gideon Kremer uraufgeführt. Im Frühjahr 2004 wird seine neue Oper „Man and Boy“, die auf einem Libretto von Michael Hastings beruht, folgen.

In ihrer Kurzbiografie schreibt Annette Morreau über Michael Nyman:
„In jeglicher Hinsicht ist Nyman ein sehr pragmatischer Komponist, und für ihn ist der sich mit abstrakten Systemen quälenden Komponist im Elfenbeinturm unbekannt. Viel eher spiegelt sich eine kontinuierliche Offenheit für Gemeinschaftsprojekte, ein ausgefallener Sinn für Humor, eine ausgesuchte Phantasie und die intuitive Gabe, ein vielfältiges Publikum in den Bann zu ziehen, in seinem Schaffen wider.“


LINKS:

www.michaelnyman.com
www.chester-novello.com



BACK